Nordsee-Zeitung

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Oldenburg. Aufmerksam folgt Helge Thormann im Hörsaal den Ausführungen des Dozenten, macht sich eifrig Notizen. Es geht um Staatsbildungsprozesse im früheren Jugoslawien. „Ich muss zwar am Ende des Semesters keine Prüfung ablegen, aber natürlich will ich so viel wie möglich von den Vorlesungen mitnehmen“, sagt Helge Thormann. Er ist 73 Jahre alt und seit neun Jahren als Seniorstudent an der Universität Oldenburg eingeschrieben.

Er wolle hier seine Wissenslücken schließen, sagt er und ist in diesem Bestreben nicht allein. Immer mehr ältere Menschen zieht es an die Hochschulen. Derzeit sind es rund 58 000.

Ein Trend, der sich auch an den Hochschulen in Niedersachsen bemerkbar macht. Oldenburg, Hannover, Göttingen, Braunschweig, Hildesheim – überall entdecken Senioren die Hochschulen für sich. Die einen, weil sie Lust am Fach haben, die anderen, um ein Studium, das im Nachkriegsdeutschland vielleicht für sie nicht möglich war, nachzuholen.

Helge Thormann wollte vor allem, „nicht plötzlich abseits stehen“, sondern weiterhin in der Gesellschaft integriert bleiben. „Ich konnte mir nicht vorstellen, nach der Rente nur noch aus dem Fenster zu schauen und durch die Fernsehprogramme zu schalten.“ Und so schrieb er sich für ein Gasthörerstudium ein.

„Nur ein kleiner Teil der Senioren entscheidet sich für ein Vollzeitstudium“, sagt der Vorsitzende des Akademischen Vereins der Senioren in Deutschland (AVDS), Jochen Schneider. „Die meisten wollen für den eigenen Geist ohne Prüfungsdruck und nicht für eine Berufsqualifizierung studieren.“

In Oldenburg melden sich nach Angaben der Universität pro Semester zwischen 400 und 600 Gasthörer an, wovon etwa die Hälfte 60 Jahre und älter ist. Besonders beliebt unter den Seniorenstudenten sind die Fächer Geschichte, Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaften.

Damit die Belegung dieser Fächer durch die Seniorenstudenten bei den regulären jungen Studenten nicht für Unmut sorgt, hat die Interessenvertretung der Gasthörenden der Universität Oldenburg sieben goldene Regeln für Gasthörer aufgestellt. Darin steht etwa, dass Besserwisser nicht erwünscht sind und Gasthörer bei überfüllten Veranstaltungen den regulären Studenten den Vortritt lassen sollen.

Dankbar für Gelegenheit
Helge Thormann setzt sich an der Universität Oldenburg auch persönlich für ein gutes Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Studenten ein. „Eigentlich klappt es hier sehr gut. Und wenn doch mal einer der älteren Studenten meint, er müsse sich auf Kosten der jüngeren profilieren, weise ich ihn gerne persönlich darauf hin, dass das nicht geht.“ Helge Thormann jedenfalls hält sich genau an die Regeln. „Ich bin sehr dankbar, dass ich hier sein kann und hoffe, dass ich noch viele Jahre weiter zur Uni gehen kann“, sagt er.

Seniorenstudium
Im Wintersemester 2000/2001 studierten 36.000 Senioren an den Hochschulen in Deutschland. Zehn Jahre später sind es rund 58 000. Davon sind etwa 5 000 in einem Vollzeitregelstudium, 36 000 sind Gasthörer und 17 000 nehmen an speziellen Seniorenangeboten teil. Die meisten Seniorenstudenten sind 60 bis 75 Jahren alt.

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